Alternative Kältemittel und die passende Kältetechnik haben Hochkonjunktur. Denn synthetische Kältemittel werden in Europa sowie weiteren Regionen der Welt aufgrund rechtlicher Bestimmungen nach und nach vom Markt verschwinden. Somit stellt sich die Frage, welche Varianten an alternativer Kältetechnik sich für welche Anwendungsszenarien eignen? Im Beitrag wird zudem eine in der Branche einzigartige Testmöglichkeit vorgestellt!
Auch die „neuen“ Kältesysteme sind in ihrem Funktionsprinzip bereits bewährt – bislang jedoch meist außerhalb der pharmazeutischen Gefriertrocknung. Zu gut passten die Eigenschaften der synthetischen Kältemittel zu den spezifischen Anforderungen pharmazeutischer Gefriertrocknungsprozesse, sodass die Alternativen nur wenig Anklang fanden. Nachdem der Klimaschutz seit einiger Zeit immer wichtiger wird, ändert sich die Situation. Denn beispielsweise liegt das Global Warming Potential des synthetischen Kältemittels R404A bei 3922 (ausgedrückt im GWP-Wert, siehe Kasten auf der nächsten Seite). Ein alternatives, natürliches Kältemittel wie R170 (Ethan) weist einen GWP-Wert von nur noch 6 auf.
Nicht nur die EU-Gesetzgebung schränkt daher mit der F-Gase-Verordnung den Verkauf synthetischer Kältemittel sukzessive ein. Viele weitere Märkte sind ähnlich reguliert, beispielsweise die Schweiz oder in den USA der Bundesstaat Kalifornien. Branchenkenner sind überzeugt, dass mit sinkender Verfügbarkeit die Preise für diese und auch die weniger schädlichen Kältemittelmischungen wie R452A weiter stark ansteigen werden. Wer heute neue Gefriertrocknungsanlagen plant, wird somit in der Regel auf Alternativen in der Kältetechnik setzen.
Für den Gefriertrocknungsprozess werden tiefe Temperaturen in den Gefriertrocknungskammern mit den Stellplatten sowie an den Eiskondensatoren benötigt. Dennoch unterscheiden sich die Anforderungen der beiden Anlagenkomponenten an die Kältetechnik ganz erheblich.
Auf der Kammer-Seite mit den Stellflächen trifft die Kältetechnik auf mehrere Tonnen Edelstahl. Hier werden im Rahmen der Batchvorbereitung die innenliegenden Oberflächen gereinigt und anschließend mit über 120 °Celsius dampfsterilisiert. Nach einer äußeren Rückkühlung und dem Beladevorgang sind Temperaturen von bis zu -65 °Celsius auf den Stellflächen erforderlich, um die pharmazeutischen Liquida einzufrieren.
Das absolute Temperaturziel ist also nicht extrem niedrig, die Temperaturdifferenz, die große zu kühlende Masse sowie der Zeitfaktor sind die eigentlichen Herausforderungen, denen die Kältetechnik mit hoher Dynamik begegnen muss. Da die Qualität eines Lyophilisats insbesondere über die Einfrierphase des Arzneimittels beeinflusst wird, ist auch die Steuerbarkeit der Kälteleistung wesentlich. Eine gedachte Temperaturkurve sollte hier idealerweise linear verlaufen und über die Zeit keine Ausschläge nach oben oder unten aufweisen.
Auf der Seite des Eiskondensators steht dagegen ausreichend Zeit für die Temperierung der Kühlschlangen zur Verfügung. Das Kälteziel reicht hier bis zu -80 °Celsius. Ein linearer Verlauf ist hier hingegen keine wesentliche Voraussetzung.
Im klassischen Gefriertrocknungsanlagenbau mit synthetischen Kältemitteln reicht eine gemeinsame Kältequelle aus, um diese unterschiedlichen Kälteziele erreichen zu können. Bei der Verwendung alternativer Kältemittel kommt dagegen unter Umständen eine zweite Kältequelle bzw. ein zweites Kältesystem zum Einsatz, damit die Kälteziele jeweils optimal abgedeckt werden können.
Allgemein sind in der Anlagenkonzeption noch weitere Aspekte für ein passendes „Gesamtpaket“ zu beachten. Das sind in der Regel die spezifischen Anforderungen der zu gefriertrocknenden Arzneimittel, die räumlichen Voraussetzungen beim anwendenden Unternehmen, die bereits vorhandene technische Infrastruktur und nicht zuletzt die dem Umweltschutz beigemessene Bedeutung.
GWP-Werte bis hin zu Null sind heute in der Kältetechnik realisierbar und auch in der pharmazeutischen Gefriertrocknung praktikabel.
Ein Überblick über die aktuell führenden, zukunftssicheren technischen Lösungen:1. Klimaneutrale Kältemittel im Kaskadensystem (entflammbar)
2. Flüssigstickstoff (LN2) zur direkten Kühlung oder zur Kühlung über Wärmetauscher
Zukunftsweisend, jedoch aktuell noch nicht im industriellen Maßstab in der pharmazeutischen Gefriertrocknung etabliert:3. Luft-Kälteanlagen (teilweise mit Booster-System)
4. Die oben genannten Mittel und Technologien werden in einem Gesamtsystem miteinander kombiniert, womit sich die unterschiedlichen Kälteziele von Eiskondensator und Gefriertrocknungskammer sowie kundenspezifische Aspekte umsetzen lassen.
Als Übergangslösung:5. Weniger zukunftssicher sind die synthetischen Kältemittelgemische R452A und R410A im klassischen Aufbau von Gefriertrocknungsanlagen. Deren Verfügbarkeit ist aufgrund rechtlicher Vorgaben der EU schon heute limitiert und wird sukzessive weiter eingeschränkt.
Für eine Übergangsphase sind synthetische Kältemittelgemische mit erheblichen Einschränkungen als Alternative zu nennen. Im Vergleich zu herkömmlichen synthetischen Kältemitteln sind diese Mischungen zwar weniger, aber eben doch umweltschädlich. R452A und R410A weisen einen GWP-Wert von 2140 bzw. 2088 auf. Innerhalb der EU dürfen diese Kältemittel zwar verkauft werden, doch sind die Mengen limitiert und sie werden sukzessive weiter reduziert. Da die typische Nutzungsdauer von Gefriertrocknungsanlagen bei rund 30 Jahren liegt, wird sich diese Variante bei neuen Anlagen nur in Ausnahmefällen als sinnvoll erweisen.
GWP-Werte und aktuelle Regelungen der EUJe höher der GWP-Wert ist, desto klimaschädlicher ist die entsprechende Substanz. Ein konkretes Beispiel: Das CO₂-Äquivalent der organischen Kältemittelmischung R410A ist – immer auf einen Zeitraum von 100 Jahren betrachtet – 2.140. Das bedeutet, dass ein Kilogramm R410A innerhalb der ersten 100 Jahre nach der Freisetzung 2.140-mal so stark zum Treibhauseffekt beiträgt wie ein Kilogramm CO₂. Die Freisetzung von 1 kg R410A entspricht hier der Freisetzung von 2.140 kg CO₂. Das europäische Parlament berät inzwischen über weitere Verschärfungen der F-Gase-Verordnung (EU) Nr. 517/2014. Im Gespräch ist eine Reduzierung der Emissionen von 80 bis 95 % bis zum Jahr 2050.
(Verordnung (EU) Nr. 517/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014)]
Um eine Gefriertrocknungsanlage auf der Eiskondensatorseite zukunftssicher zu gestalten, erweist sich oftmals ein System mit separatem Kältekreislauf als sehr sinnvolle Variante. Damit können die Eiskondensatorschlangen mit Kälte unabhängig von der eigentlichen Kältequelle versorgt werden. Dieses System besteht folglich aus Kältetechnik, Wärmetauscher und separatem Kältekreislauf. Dies im Gegensatz beispielsweise zur Direktverdampfung der synthetischen Kältemittel, die in den Eiskondensatorschlangen unmittelbar verdampfen.
Im separierten Kältekreislauf zirkuliert ein Fluid als Wärmeträger und das bei Temperaturen von bis zu -80 °Celsius. Die Eiskondensatorschlangen und die Kältetechnik sind hier über den Wärmetauscher miteinander verbunden. Die Art der eingesetzten Kältetechnik bleibt variabel. Nach dem gleichen Prinzip zirkuliert schon immer das Fluid auf der Seite der Gefriertrocknungskammer in den Stellplatten.
Eine zweite klimafreundliche Variante der Eiskondensatorkühlung bietet das Verdampfen von Flüssigstickstoff. Beim Flüssigstickstoff handelt es sich um einen Betriebsstoff, der nach der Kälteabgabe als klima-unschädliches Gas in die Atmosphäre entweichen kann. Eine Lösung, die sich in der pharmazeutischen Gefriertrocknung bereits vielfach bewährt hat. Die Gesamt-Umweltbilanz des Flüssigstickstoffs hängt wiederum stark von dessen Herstellung ab.
Im Folgenden sollen nun die einzelnen Varianten der umweltfreundlichen Kältesysteme und ihre Einsatzmöglichkeiten genauer betrachtet werden. Dabei sind die spezifischen Anforderungen auf der Seite der Kammer und auf der Seite des Eiskondensators zu beachten.
Hier kommen meist die Gase R1270 (Propen, GWP 3) und R170 (Ethan, GWP 6) als Kältemittel zum Einsatz. Diese befinden sich in Kältekreisläufen und sind kein „Verbrauchsmaterial“ bzw. Betriebsstoff. Entweichen diese in die Atmosphäre, sind sie nahezu klimaunschädlich.
Für die erforderliche Kälteleistung werden natürliche Kältemittel in Kältekreisläufen mit Kompressoren unter Druck gesetzt und wieder entspannt. Beim dabei erzeugten Wechsel der Aggregatzustände (gasförmig und flüssig) wird die beim Verdampfen entstehende Kälteleistung (Enthalpie) genutzt. Im Kaskadensystem wird diese Kälteleistung über Wärmetauscher an einen zweiten Kreislauf „überreicht“. Dieser Kreislauf arbeitet nach dem gleichen Prinzip und erreicht ein noch niedrigeres Temperaturniveau. Je nach Größe der Kälteanlagen und den gewünschten Redundanzen werden mehrere Kaskaden mit je zwei Kompressoren eingesetzt. Mit dieser Kälteleistung werden schließlich über Wärmetauscher und zirkulierendem Fluid die Stellplatten und /oder die Eiskondensatorschlangen gekühlt.
Austretendes natürliches Kältemittel bildet in Verbindung mit Luft in geschlossenen Räumen ein explosionsgefährdetes Gemisch. Daher zirkulieren die natürlichen Kältemittel ausschließlich in einem räumlich gekapselten, kontrollierten Bereich – nicht darüber hinaus, weder durch die Stellplatten noch durch die Eiskondensatorschlangen. Noch im gekapselten Bereich wird über Wärmetauscher die Kälte an Fluide übertragen. Gasdetektoren überwachen den gekapselten Bereich, wo über kontinuierliches An- und Absaugen zudem ein leichtes Vakuum besteht. Hier hat Optima Pharma hat ein besonders sicheres Konzept entwickelt, das früh auf potenziell gefährliche Luft-/Gaskonzentrationen reagiert. Sollte bei einer Leckage beispielsweise zusätzlich der Ex-geschützte Ventilator ausfallen, bliebe mehr Zeit, um zu reagieren.
Bei der etwas aufwändigeren Installation einer Gefriertrocknungsanlage mit Kaskadenkälteanlage ist, je nach Aufstellort, vom gekapselten Bereich eine Abluft an die Gebäudeaußenseite vorzusehen. Da in der Umgebung der Anlage Menschen arbeiten, werden diese Räume entsprechend zu klassifizieren sein. Möglicherweise sind dabei länderspezifische Regelungen zu beachten.
Flüssigstickstoff wird häufig auch zur indirekten Kühlung über Wärmetauscher eingesetzt. Denn Flüssigstickstoff selbst ist weitestgehend klimaneutral. Hier entscheidet vor allem die Herstellung über die Umweltverträglichkeit. Insbesondere wenn Flüssigstickstoff über regenerative Energien gewonnen werden kann, bietet es geradezu ideale Voraussetzungen für den Einsatz in der Kältetechnik. Der Nachhaltigkeitsgedanke lässt sich noch weiter vertiefen, wenn der verdampfte Flüssigstickstoff aufgenommen und als gereinigter Stickstoff einer Verwertung in anderen Prozessen zugänglich gemacht wird.
Flüssigstickstoff eignet sich sehr gut für die Kühlung des Stellplattenpakets und wird, wie dargestellt, auch bei der Eiskondensatorkühlung eingesetzt. Es erfordert in der Infrastruktur einen Speichertank, der auf dem Werksgelände vieler pharmazeutischer Unternehmen bereits vorhanden ist. Die technische Ausführung an den Gefriertrocknungsanlagen bringt vergleichsweise wenig Aufwand mit sich. Mit Flüssigstickstoff wird der Einsatz von Strom und Kühlwasser an den Anlagen stark reduziert.
Auch das Prinzip der Kälteerzeugung mit Luft ist nicht neu, wurde jedoch erst in den letzten Jahren durch das Unternehmen Mirai zur Serienreife gebracht. Die Investition ist derzeit noch höher als bei anderen Kältesystemen. Das System arbeitet jedoch allein mit Luft als Kältemittel und ist in dieser Hinsicht besonders umweltfreundlich.
Luft-Kältesysteme haben eine besondere Charakteristik: Sie sind äußerst effizient darin, sehr tiefe Temperaturen bei konstanter Leistung zu erreichen. Daher ist ihr Einsatz in der Gefriertrocknung zunächst bevorzugt in der Eiskondensatorkühlung zu sehen. Weniger gut fällt die Dynamik aus, wenn Komponenten möglichst schnell gekühlt werden sollen, wie das bei den Stellplatten geschehen soll. Möglich ist dies dennoch, indem beispielsweise ein zusätzlicher Öl-Speicher als „Booster“ eingerichtet wird. Dieser kann über längere Zeit beispielsweise auf -80 °Celsius gekühlt werden. Sollen dann die Stellplatten im Gefriertrocknungsprozess gekühlt werden, steht die gewünschte Kältekapazität zur Verfügung. In diesem Aufbau bedient ein Luftkältesystem eine gesamte Gefriertrocknungsanlage. Bei größeren Gefriertrocknern werden wiederum zwei oder drei Luftkälteanlagen zum Einsatz kommen.
Mit der Kombination unterschiedlicher Kältesysteme lassen sich deren jeweilige Stärken bestmöglich nutzen und miteinander kombinieren. Das setzt eine gewisse Investitionsbereitschaft voraus oder es besteht vor Ort bereits eine Infrastruktur, die sinnvoll in das neue Gefriertrocknungsprojekt eingebunden werden kann.
Nur sehr wenige pharmazeutische Unternehmen konnten bereits Erfahrungen mit der Luft-Kältetechnik oder Kaskaden-Kältesystemen sammeln. Optima Pharma geht diesen Schritt für Kunden und Interessenten und hat in eine Luft-Kälteanlage von Mirai investiert. Diese wird mit einem Produktionsgefriertrockner mit 15 m² Aufstellfläche kombiniert und steht ab circa ab dem Jahresbeginn 2023 für Tests zur Verfügung.
Auch mit einer Kaskaden-Kälteanlage und alternativen Kältemitteln hat Optima Pharma umfangreiche Testreihen an der hauseigenen Produktionstestanlage durchgeführt. Diese stand über mehrere Wochen ausschließlich für diesen Zweck zur Verfügung. Die gewonnenen, neuesten Erkenntnisse teilt Optima Pharma mit Kunden und Interessenten. Aktuell fließen diese Erkenntnisse in ein Großprojekt ein: An einem Schweizer Standort werden vier große Gefriertrocknungsanlagen mit Kaskaden-Kältetechnik und natürlichen Kältemitteln gekühlt. Dieses Projekt steht kurz vor dem Abschluss. Interessenten für die Kaskaden-Kältetechnik wenden sich bitte an Jörg Rosenbaum.
Pharmazeutische Unternehmen werden damit sowie mit der fundierten Beratung durch Optima Experten zukunftsweisende und -sichere Entscheidungen treffen können.
Häufig tritt die Frage auf, warum der Einsatz von klimaschädlichen Gasen Usus war oder weiterhin ist, obwohl es seit längerer Zeit andere Optionen gibt? Hintergrund ist vor allem die spezifische Leistungszahl eines Kältemittels. Die Leistungszahlen der synthetischen, umweltschädlichen Kältemittel entsprechen auf ideale Weise den technischen Anforderungen von Gefriertrocknungsanlagen. Klimaneutrale Kältemittel sind dagegen entzündbar, sie verfügen über eine geringere Einsatzbandbreite und sie erfordern eine höhere Leistung in der Verdichtung, sprich: eine andere Auslegung des Kompressors. Dies gibt auch einen Hinweis darauf, warum der nachträgliche Wechsel auf ein anderes Kältemittel nur in seltenen Fällen wirtschaftlich sinnvoll durchführbar ist.
Eine zweite häufige Frage dreht sich um die Eiskondensatorschlangen: Könnte hier ein nachträglicher „Systemwechsel“ funktionieren? Eiskondensatorschlangen wurden bislang meist auf den physikalischen Effekt des darin verdampfenden und sich im Kreislauf wieder verflüssigenden synthetischen Kältemittels ausgelegt. Dies erfordert eine exakt abgestimmte Geometrie der Eiskondensatorschlangen im Zusammenspiel mit der Kompressorleistung. In neuen, umweltschonenden Anlagen wird nun meist Fluid in den Kälteschlangen des Eiskondensators in einem reinen Kältekreislauf (ohne Verdampfung) eingesetzt. Jeweils spezifische Ausführungen der Eiskondensatorschlangen verhindern in den meisten Fällen einen wirtschaftlichen Retrofit. Auch eine nachträgliche Umrüstung auf die Direktverdampfung von Flüssigstickstoff in den Eiskondensatorschlangen ist nur in seltenen Fällen wirtschaftlich. Das Kältemittel (Leistungszahl), die Geometrie der Eiskondensatorschlangen und die Leistung der Kompressoren bilden immer ein aufeinander abgestimmtes Gesamtsystem.